1992 Wie alles begann

1992 traf sich eine Hand voll Menschen mit dem Pfarrer von St. Andreas, Dominikanerpater Emmanuel Renz, und überlegte, was für die zunehmende Zahl Hungriger auf den Altstadt-Straßen getan werden könnte. Damals ahnte niemand, was daraus in kurzer Zeit entstehen sollte. In provisorischen Räumen der Ursulinen auf der Ritterstraße begann das Experiment „Armenküche”.

Unter der Regie der Vinzentinerin Sr. Bonosa Schumacher begann eine Gruppe Ehren-amtlicher an sechs Tagen der Woche ein herzhaftes und gesundes Mittagessen für Wohnungslose zu kochen. Aus anfangs rund 20 Gästen wurden noch im gleichen Jahr täglich um die 60 Personen, die sich das leckere Essen auftischen ließen.

Gutes Essen und Respekt

Von Anfang an waren zwei Grundbedingungen klar. Eine richtige warme Mahlzeit soll auf den Tisch, das Essen soll schmecken, nahrhaft und gesund sein, und alle sollen essen bis sie satt sind. Das war und ist die eine Prämisse. Die andere heißt, dass jede und jeder kommen und mit Respekt in einer freundlichen Atmosphäre zu Mittag essen kann. Wenn wir heute Rückmeldung von Gästen erhalten, drücken sie oft genau diese beiden Ziele aus: „Das Essen da ist wirklich lecker! Und die Leute sind so freundlich.” Respekt drückt sich auch darin aus, dass die, die kommen, sich selbst so weit möglich mit einem halben Euro pro Mahlzeit beteiligen und damit als zahlende Gäste fühlen.

Hanni Wahlicht, die 19 Jahre in der Armenküche mitgearbeitet hat, wurde von den Gästen liebevoll „Omi” genannt. Das Foto zeigt sie mit P. Paulus Engelhardt OP beim Open Air 2007.

Menschliche Atmosphäre

Fast immer, wenn Gäste über die Küche reden, werden Namen genannt. Die Atmosphäre, die die Menschen von der Straße als wohltuend und  aufbauend erleben, macht sich an Personen und Gesichtern fest. Für die  eine ist es eine Frau aus der Kochgruppe eines bestimmten Tages, für einen anderen eine der fest Angestellten: wer regelmäßig kommt, hat schnell bestimmte Ansprechpartner/innen oder gar „Lieblinge”. Das war schon bei Sr. Bonosa so: Zugewandtheit, Freundlichkeit und Wertschätzung waren ebenso selbstverständlich wie die Beachtung der Regeln. Alle Gäste  haben das Recht auf Aufmerksamkeit, höfliche Begrüßung und ein persönliches Wort; genauso haben sich alle daran zu halten, dass hier kein Alkohol getrunken wird und Streit unterbleibt.

Mitten in der Altstadt

Bereits 1993 musste die Armenküche umziehen, die bisherigen Räume  wurden für das St. Ursula-Gymnasium benötigt. Es war ein Glück, dass wir  schnell neue Unterkunft im Rathauskomplex fanden. Die Räume hinter dem  großen grünen Tor am Burgplatz sind klein, aber mitten in der Altstadt. Die beengten Verhältnisse sind für die Arbeitenden anstrengend, helfen aber mit, dass die persönliche Atmosphäre bestehen bleibt; bei manchmal weit über 100 Essen an jedem Tag ist das nicht immer selbstverständlich.Die kleine Küche ist gut ausgestattet. Im Essraum haben ca. 17 Personen Platz; es wird schichtweise gegessen, für jede neue Gruppe wird der Tisch neu  gedeckt. Es gibt etwas zu trinken und Brot auch zum Mitnehmen. So oft wie gewünscht bringen Mitarbeiter/innen den Gästen Nachschlag an ihren Platz.

Als Sr. Bonosa 1993 krank ausschied, wurde für die Küchenleitung eine Kraft eingestellt. Bald zeigte sich, dass an diesem Ort auch soziale Beratung unerlässlich ist. So teilen sich heute drei Teilzeitbeschäftigte (Johanna Lochner, Christian Piel, Swantje Poschmann) die Arbeit in der Küche mit den  Ehrenamtlichen. Marion Gather und Holger Kirchhöfer kümmern sich ebenfalls in Teilzeitarbeit sozialarbeiterisch um die vielen Nöte der Gäste und besorgen gemeinsam mit Pater Wolfgang Öffentlichkeitsarbeit, Außenvertretung und Vernetzung.

Selbstbestimmung und Teilhabe

Das wichtigste Ziel unserer Arbeit ist Würde; ein großes Wort, das nur im ganz konkreten Sinn gewinnt. Für uns bedeutet es, dass wir unseren Gästen mit Hochachtung begegnen und sie ihr Leben selbst bestimmen. Nie dürfen sie zu Objekten unserer Hilfe werden. Gute Entscheidungen für ihr Leben können sie nur selbst treffen, dabei leisten wir Hilfe zur Selbsthilfe. Das in der Armenküche entstehende gegenseitige Vertrauen und die hier vorhandene hohe sozialarbeiterische Kompetenz sind dafür Voraussetzungen. Am meisten freut es uns, wenn die, die dazu in der Lage sind, wieder auf eigene Füße zu stehen kommen, eine eigene Wohnung haben und selbst für ihr Leben sorgen.

Essen und öffentliche Einmischung

Wir begegnen in der Armenküche Menschen, die zum Teil keinerlei Anlaufstelle haben. Einige bekommen nicht einmal Sozialhilfe, schlafen draußen, sind krank und psychisch instabil. Auf manche ihrer Nöte kann die Armenküche nicht direkt antworten, daran vorbei gehen kann sie dennoch nicht. Darum haben wir uns auf vielerlei Weise eingemischt, im Protest gegen Vertreibung ebenso wie mit vielen konstruktiven Vorschlägen für Verbesserungen im Hilfesystem.

So ist die Armenküche geworden was sie ist, ein Ort menschlicher Atmosphäre für arme Menschen und eine respektierte Stimme für ihre Interessen.

Bleibt im Hintergrund: der Verein

Juristisch getragen wird die Armenküche von dem zahlenmäßig kleinen Verein Altstadt-Armenküche e.V. Der als gemeinnützig und mildtätig anerkannte Verein garantiert die Kontrolle der Finanzen und stellt Spendenquittungen aus. Die Mitglieder sind ausschließlich ehrenamtliche Mitarbeiter/innen der Armenküche.

Foto: Klaus Buschmann, Vereinsvorsitzender